Dorfgeflüster
(Eine Humoreske auf Klatsch und Tratsch)
von
Dr. Roland Mildner, Leipzig (1975)


Frau Schulze und Frau Mayer,
die treffen sich. Und schon
sagt Schulzen's zu der Mayern:
„Das mit des Bäcker's Sohn,
das ist doch nicht zu glauben.
Wie frech der Lümmel ist.
Da hat er doch vom Müller Georg
das Gretchen abgeküsst.

Es geht mich ja auch gar nichts an.
Sonst sprech' ich auch nicht drüber.
Doch ham'se schon das Ding gehört:
Die Bayern kommt schon wieder nieder.
Die sollte sich was schämen doch.
Ein Kind von diesem Lumpen,
der tags so faul ist wie ein Ochs
und abends stemmt den Humpen.

Es geht mich ja auch gar nichts an.
Sonst sprech' ich auch nicht drüber.
Doch wenn Guck's Paul die Emma kriegt,
das wär' mir doch viel lieber.
Der August, den die Emma hat,
der ist doch gar kein Manne.
Der soll doch saufen wie ein Loch
und fett sein wie 'ne Pfanne."

„Mich geht's ja nun mal auch nichts an."
Frau Mayer fährt nun fort:
„Doch dass Bum's Karl mit Frieda schläft,
das weiß der ganze Ort.
Und neulich ist es doch gescheh'n,
da hat man sie ertappt,
umschlungen fest im Haferstroh,
von oben bis unten nackt.

Ich mein: Mich geht's ja auch nichts an.
Sonst sprech' ich auch nicht drüber.
Doch Schibbel's Else, dieses Biest,
kriegt noch mal eine drüber.
Die tratscht und klatscht den ganzen Tag,
als hätte sie fast nichts zu tun,
schwätzt über mich und meinen Mann
und erntet manchmal auch noch Ruhm."

"Es geht mich ja auch gar nichts an."
Frau Schulze flüstert's leis':
„Und dabei hat der Schibbel's Mann
doch eine and're, wie ich weiß."
Frau Mayer kriegt 'nen roten Kopf
und meint verlegen drauf:
„Frau Schulze, es ist doch schon zehn.
Ich muß jetzt geh'n. Auf Wiederseh'n!"

Und die Moral von der Geschicht':
Verleumde and're Leute nicht.
Denn sieh Dich kritisch selber an.
Du merkst: Du bist nicht besser dran.

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