Herbstspaziergang
von
Dr. Roland Mildner, Leipzig (1965)

Wenn kürzer der Tag und länger die Nacht,
wenn fleißig die Ernte wird eingebracht,
der Herbst, er kommt sodann.
Dann pfeift und heult des Windes Heer,
jagt über die Lande, stürmt übers Meer,
und Kühle zieht langsam heran.

Der Kunstmaler Herbst, er streift umher.
Er hat gefüllt den Riesentopf schwer
mit leuchtenden Farben, so hell.
Die Bäume und Sträucher in Wald und Flur,
die Gräser der Wiese, die ganze Natur
in prächtigem Bunt, wie Pastell.

Ich geh in der Früh zu des Waldes Höh.
S'ist Stille. Und es umgibt mich die Näh
mit dunstigem Schleierfenster.
Mich fröstelt ein wenig. Schnell schreit ich einher.
Das Buschwerk umfängt mich. Es streift um mich her
wie gierige Nachtgespenster.

Im Gesträuch ein Knacken, ein Laut in der Ferne.
Goldschimmernde Tröpfchen, als seien es Sterne.
Unendliche Vielfalt, so rein.
Die Sonne erwacht durchs Geäst der Bäume.
Ein Strahl trifft mein Auge. Sag, sind es Träume
oder reales Sein?

Ich raste ein wenig am Stumpf eines Baumes.
Ringsum Erwachen. Ich vergeß meines Traumes
phantastischen Weltenblick.
Die Nebel verzogen. Die Geister vergangen.
Die Sonne, sie siegte. Weder Angst noch Bangen
bleiben in mir zurück.

Ich gehe weiter am Bächlein entlang,
das stets bereit war, mir gab seinen Trank,
so labend, wie frischer Regen.
Das Morgenkonzert der Vögel schallt heiter.
Doch nicht mehr sehr lange, denn dann heißt es: Weiter
dem sonnigen Süden entgegen.

Es weitet der Berg nach dem Tale sich drunten.
Ich steige hinab. Von der Schönheit fast trunken
gleitet mein Blick umher.
Bald lichtet der Wald sich. Ich trete heraus.
Hell leuchtet die Flur. Weit dehnt sie sich aus,
so wie ein endloses Meer.

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